Am 6. August 1955 läuteten in Wolfsburg die Glocken. An jenem Sonnabend gab es in der Hauptstadt des Volkswagens ein Großereignis zu feiern, wofür dieser Rahmen angemessen war. Da ließen in der niedersächsischen Provinz die Ballettdamen des Pariser Moulin Rouge die Beine fliegen. Da sangen südafrikanische Chöre Spirituals, da stampften 32 schottische Tänzerinnen zu Dudelsack-Klängen und Schweizer Fahnenschwinger wirbelten ihre Standarten durch die Luft. Die Besten der Besten hatten sich in der Hauptstadt des Volkswagens eingefunden. Eingeladen hatte das Volkswagenwerk, den millionsten VW Käfer zu feiern.
Vor 65 Jahren
Neben den Werksangehörigen und Vertretern der westlichen Automobilindustrie waren auch mehr als 1200 Journalisten aus dem In- und Ausland angereist. Der eigentliche Star der prunkvollen Feier hielt sich jedoch zunächst im Hintergrund. Denn nicht so sehr das blecherne Produkt auf vier Luftreifen sollte gefeiert werden, sondern vielmehr der Mann, der den Käfer zum Millionär machte und Wolfsburg dadurch zu einer Wohlstandsinsel: Heinrich Nordhoff, der Generaldirektor.
Der König hält Einzug
Mit den Arbeitern und ihren Familien füllten mehr als 100.000 Menschen das Sportstadion der Stadt, in dem VW seinen Gästen internationale Attraktionen servierte. Dann aber – nach einem sorgfältig einstudierten Plan – tanzte sich auf der 250 Quadratmeter großen Holzbühne des Stadions jede Gruppe an einen bestimmten Platz. Sänger und Musikanten nahmen die vorher festgelegte Aufstellung ein. Alle Blicke waren erwartungsvoll auf die 15 Meter hohe Treppe zwischen Musikkapelle und Ehrentribüne gerichtet. Jeder ahnte: Gleich kommt der König. Mit einem mächtigen Paukenschlag vereinigten sich schließlich zwölf Musikkapellen zu einer Schlusshymne. Unter diesen Klängen schritt langsam, Stufe für Stufe, Heinrich Nordhoff die Bühne hinab. Tosender Beifall brandete auf. Der König hatte Einzug gehalten.
Sein kurzer Auftritt endete so effektvoll wie er begonnen hatte. Mit ausgebreiteten Armen trat er ans bereitgestellte Mikrofon und rief seinen jubelnden Zuhörern zu: „Unser Fest war ein Blick in die Welt, die der Volkswagen erobert hat und weiter erobern wird.“ Dramaturgisch glanzvoller und textlich genauer hätte sich Nordhoffs Auftritt kein Drehbuchschreiber ausdenken können. Mit der ihm eigenen Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit nahm er die Huldigungen entgegen.
Insgesamt 21 Millionen Käfer
Seit diesem rauschenden Fest aus Anlass des millionsten Käfers, der einen Tag zuvor – goldfarben lackiert – in Wolfsburg vom Band lief, sind mehr als 21 Millionen Stück produziert worden. Am 30. Juli 2003 rollte das letzte Exemplar dieses legendären Automobils aus der Fabrikhalle – im Werk Mexiko. Die weltweit ungeheure Nachfrage nach diesem gleichermaßen buckligen wie auch ulkigen Automobil sorgte mit dafür, dass die Produktion dieses Wagens einen nicht zu knappen Anteil zum damals aufkeimenden Wirtschaftswunder Nachkriegs-Deutschlands beitrug.
Heinrich Nordhoff starb am 12. April 1968 im Alter von 69 Jahren nach einem Herzinfarkt. In den Jahren bis zur ersten Million und bis zu seinem Tod hat der König von Wolfsburg wie kaum ein anderer Wirtschaftsführer die Geschichte der noch jungen Bundesrepublik mit gestaltet. Damals wussten selbst die Kleinkinder Wolfsburgs, dass sie ihr Wohlergehen vor allem dem „Onkel Generaldirektor“ zu verdanken haben. Und dass die Wohlstandsinsel Wolfsburg am Südrand eines armen Moor- und Heidegebiets auf das Volkswagenwerk und seinen Chef zurückzuführen ist.
Erfolg statt Existenzsorgen
Dass sein Wirken zu einer Erfolgsgeschichte werden würde, können die VW-Mitarbeiter, geplagt von Existenzsorgen, nicht ahnen. Schon 1946, zwei Jahre vor Nordhoffs Antritt, wird der erste Meilenstein gesetzt: Der 10.000ste Volkswagen rollt vom Band. Das Fahrzeug wird mit einer elementaren Forderung der Arbeiter beschriftet: „Mehr schmackhaftes Essen, sonst können wir vieles nicht vergessen“. In den folgenden drei Jahren wirken Restriktionen und äußere Ereignisse noch dem Aufbau entgegen. Lieferungen an Privatpersonen sind nicht gestattet. Der Mangel an Kohle führt 1947 zu einer vorübergehenden Stilllegung des Werkes. Aber die Richtung stimmt: 1948 gehören zur Belegschaft bereits 8400 Mitarbeiter, die fast 20.000 Fahrzeuge bauen. Ihr Durchschnittsstundenlohn beträgt 1,11 Mark.
Nordhoff war in seinem Reich gleichermaßen Vaterfigur wie Mäzen. Er schenkte der Stadt damals das modernste Schwimmbad der Nation im Wert von einer Million Mark, ließ von der VW-eigenen Baugenossenschaft Siedlungshäuser hochziehen und ein gut ausgestattetes Ledigenheim errichten. „Stadt und Betrieb sind eins, und der Pass in Nordhoffs Territorium ist ein blauer Werksausweis“, schrieb der „Spiegel“ im August 1955. Auf diesen Ausweis gab jeder Möbelhändler unbesehen 1000 oder 2000 Mark Kredit. Fasziniert kabelte der Korrespondent der Londoner „Evening News“ damals heim: „Dieser Mann steht fast im Glanze eines überirdischen Gottes, der Wohltaten über sein Volk ergießt.“
Ferdinand Porsche oder Béla Beréyni?
Grundlage dafür war die relativ robuste Konstruktion dieses Autos, als dessen Vater sehr lange Professor Ferdinand Porsche galt. Richtig ist, dass Porsche den Wagen noch vor dem 2. Weltkrieg entwickelt und dem Nazi-Regime präsentiert hat. Richtig ist aber auch, dass der bis heute nahezu unbekannte österreichische Autoingenieur Béla Baréyni bereits 1926 die Idee zum „kommenden Volkswagen“ hatte. So nannte Baréyni seine Erfindung weitsichtig und legte damals schon zentrale Konstruktionsmerkmale fest: Boxermotor im Heck, Luftkühlung, die Motoranordnung hinter und die des Getriebes vor der Hinterachse.
Doch weltweit galt nach wie vor Porsche als Erfinder des Volkswagens. Das änderte sich nach zwei langwierigen Gerichtsverfahren. Ausgerechnet im Umfeld der Wolfsburger Millionärsfeierlichkeiten wurde Baréyni schließlich im Juli und Oktober 1955 mit zwei Entscheidungen höchstrichterlich die Erfinderehre des Käfers zuerkannt. Beklagte waren zwei Schriftsteller, die Baréynis Urheberschaft in einem Sachbuch und in einem Roman teils in höhnischem Ton als abwegig darstellten. Einer der beiden Schriftsteller verbarg seine Identität hinter einem Pseudonym. In Wahrheit war er der Leiter der Porsche-Presseabteilung.
Im entscheidenden Urteil des Landgerichts Mannheim (Patentkammer) hieß es: „…es ist als erwiesen anzusehen, dass der Kläger (Baréyni) bereits 1926, … also auf jeden Fall vor Prof. Dr. Porsche Konstruktionspläne ausgearbeitet hatte, die die Grundkonzeption über den Aufbau des Triebwerks, insbesondere auch die Triebwerksanordnung des späteren Volkswagens offenbarten.“ Dagegen wurde zwar eine Berufung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe versucht, die jedoch abgewiesen wurde. Somit ist die Landgerichtsentscheidung als letztinstanzlich anzusehen.
Streit um die Urheberschaft blieb unwichtig
Im zweiten Fall kam es zu einem Vergleich vor dem BGH, in dem der Beklagte sich verpflichtete, Baréynis Käfer-Urheberschaft nie mehr in Abrede zu stellen. Wenngleich diese beiden Entscheidungen als epochal einzustufen waren und dadurch das Image von Porsche massiv ramponiert wurde, die breite Öffentlichkeit kümmerte der Streit um die Urheberschaft wenig. Die Deutschen fanden es viel wichtiger, dass sie – nicht zuletzt mit Hilfe des kleinen Volkswagens – massenhaft in Fahrt kamen und dass auch die Wirtschaft dadurch schnell an Drehzahl gewann. Rasch entwickelte sich dieses Auto zu einem nahezu konkurrenzlosen Markenartikel.
Als ehrgeiziger Industrieller erkannte Nordhoff die Chancen schnell, die in dem Wagen steckten. Doch als er am 1. Januar 1948 auf dem Sessel des Generaldirektors Platz nahm, herrschte zunächst allseits Chaos. Zum Beispiel waren die Fabrikhallen zu 65 Prozent zerbombt. Kälte, Schnee und Regen drangen anfangs beinahe ungehindert ins Gemäuer. Auch befanden sich die Produktionsbänder in einem beklagenswerten Zustand. Er wollte den Job nicht zuletzt auch, um seine sozialpolitischen Pläne umsetzen zu können, die im Laufe seiner Amtszeit tatsächlich Wirklichkeit wurden.
„Ich bin mit Haut und Haaren dabei“
Der Weg aufwärts erwies sich als ziemlich holprig. Bei seinem Amtsantritt meinte Nordhoff, er sei ein Mann, der nur eine Leidenschaft kenne: Autos zu bauen. Wörtlich sagte er: „Ich bin mit Haut und Haaren dabei … Es wird an uns liegen, aus dieser nun größten deutschen Automobilfabrik einen ausschlaggebenden Faktor der deutschen Friedenswirtschaft zu machen…“ Mit Automobilen hatte es der Bankierssohn aus Hildesheim schon länger. Seit er 1930 von den Bayerischen Motorenwerken zur General-Motors-Tochter Opel überwechselte, war er lange in amerikanischen Diensten gewesen. Aber die Amerikaner, deren Opel-Lkw-Werk er in Brandenburg zuletzt leitete, hatten für ihn direkt nach Kriegsende keine Verwendung mehr. Daraufhin griff der Diplom-Ingenieur zu, als ihm die englischen Besatzer den Job in Wolfsburg angeboten haben.
Harte Arbeit, Ideen und ein unglaublicher Wille zum Durchhalten brachten schließlich den erhofften Erfolg. Dabei hatte Nordhoff in seinen 20 Jahren als Generaldirektor dem Käfer trotz dessen solider Grundkonstruktion jede Menge Kinderkrankheiten auszutreiben. Er prägte den Satz: „Der Volkswa-gen hat mehr Fehler als ein Hund Flöhe.“ In unzähligen Versuchen ließ Nordhoff jedes Teilstück des Wagens immer wieder verbessern. Bis so gut wie keines mehr in Güte, Form und Abmessung mit den ursprünglichen Teilen identisch war.
Mehr Qualität – weniger Kosten
Wie Nordhoff die Qualitätsverbesserungen bei gleichzeitiger Kostensenkung schaffte, macht folgende Szene aus seinem Anfangsjahr 1948 deutlich. In der Halle des noch halb zerstörten Werkes war die komplette Belegschaft versammelt, um vom neuen Boss zu hören, wie sehr sie sich alsbald ins Zeug zu legen habe. Nordhoff sagte: „Wir brauchen noch 400 Arbeitsstunden für den Bau eines Wagens. Wenn wir so weitermachen, können wir nicht mehr lange weitermachen. Wir müssen auf 100 Stunden pro Wagen kommen.“ Ein Raunen ging durch die Reihen der Arbeiter, die sich nicht vorstellen konnten, wie das gehen kann.
Doch es klappte. Langsam zwar, aber stetig. 1955, als die Million anstand, wurde sogar die 100-Stunden-Marke unterschritten. Was bedeutete, dass jeden Tag mehr als 1000 Käfer aus der Fertigungshalle rollten. Monatelang hat Nordhoff im Feldbett neben seinem Büro geschlafen, um jederzeit ansprechbar für Probleme sein zu können. Wirklich zur Ruhe kam er in der Phase allerdings nur selten. Oft sagte er: „Ich sehe das Ziel meines Lebens darin, dieses Werk zur ersten Automobilfabrik Europas zu machen.“ Und als sich genau das abzeichnete, wurde ihm mulmig und Mister Volkswagen gab die Losung aus: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den europäischen Zusammenhang verlieren.“ Damit wollte er sagen, dass es zu schnell bergauf gehe, was in Europa nur Neid und Missgunst erzeuge.
Es lohnt sich, auf den Volkswagen zu warten
Einer der wichtigsten Stützpfeiler in Nordhoffs mehr oder weniger kalkuliertem Risikospiel war der Export. Um in seinem Reich auch während der im Autogeschäft flauen Wintermonate die Vollbeschäftigung zu sichern, brauchte er den Verkauf in Übersee-Gebieten, in denen Sommer ist, wenn in Deutschland Schnee liegt. Dass er mit diesem Ansatz richtig lag, zeigten die Zahlen. Als 1955 der Millionär beklatscht wurde, rollten von der Gesamtherstellung 400.000 Stück in 103 Länder. Und die VW-Werbeabteilung ließ zu dem ungeheuren Erfolg einen Slogan in vielen Sprache texten, der in Deutsch so lautete: „Es lohnt sich, auf den Volkswagen zu warten“. Wobei die Lieferzeit für Überseekunden bis zu zwei Jahre betragen konnte.
Nordhoff scheute auch keine hemdsärmeligen Methoden, wenn der VW an den Mann oder an die Frau gebracht werden sollte. So erzählte er gerne die Geschichte, wie er einst auf dem Genfer Autosalon den Vertriebschef von Chrysler auf die Seite nahm und ihn in überrumpelnder Manier fragte, ob dieser sich vorstellen könne, den Käfer als eine Art Lückenfüller in die glänzend eingespielte Verkaufsorganisation von Chrysler in Europa zu übernehmen. Chrysler verkaufte damals viel größere Straßenkreuzer, so dass man sich von der Modell-Konkurrenz ja nicht ins Gehege kommen konnte. Der Amerikaner war überrascht, stimmte aber spontan zu. Klar, dass Nordhoff stolz verkündete: „Damit hatten wir eine Export-Organisation, die uns keinen Pfennig kostete.“ Bald schon war es umgekehrt in Europa: Die Straßenkreuzer von Chrysler waren zum Lückenbüßer geworden. Nordhoff resümierte: „Wir sind die Leute, die das Geld verdienen“.
USA: Zwei junge Männer in Jeans sollten überzeugen
Ähnlich clever ging er auch in den USA vor. Nachdem sein ursprünglicher Verkaufschef dort vorausgesagt hatte, nur etwa 800 VW Käfer pro Jahr in dem riesigen Land verkaufen zu können, ersetzte er ihn durch zwei junge Männer, steckte sie in Jeans und gab ihnen die Anweisung mit, „auf die Dörfer zu gehen“. Nordhoff hatte ihnen zudem eingetrichtert: „Führt den Wagen jungen Händlern vor, die noch etwas werden wollen.“ Der Erfolg stellte ich zügig ein. Als Zweitwagen der Familie, als ein Auto, das in kleine Parklücken passte, in denen sich die US-Lulatsche Beulen holten, und vor allem als eines, das anders war als die anderen Ami-Autos. Schnell wurde der Käfer in den USA das meist verkaufte ausländische Modell. Ende 1955 schnurrten schon rund 35.000 Exemplare über die High- und Freeways. Und am 27. August 1971 wurde der fünfmillionste VW in die USA verschifft.
Auch ein anderer Schachzug zahlte sich aus. Er bildete sogar eine wesentliche Grundlage für den weltweiten Erfolg des Käfers: Nordhoff hatte den strategischen Fehler anderer Hersteller vermieden, den Kundendienst mit Reparaturen und Ersatzteilen zu vernachlässigen und ihn nur schleppend aufzubauen. Es war umgekehrt. Ein ehemaliger Chef dieses Bereiches kommentierte Nordhoffs Maßgabe so: „Es geht kein Wagen vom Schiff, ehe nicht der Service in dem betreffenden Land steht. Nordhoff würde mich aufhängen, wenn ich es anders täte.“
Nordhoff war der geborene Menschenführer
Hinzu kam eine weitere Facette seines Charakters, die vielen anderen Bossen bis heute abgeht: Nordhoff war der geborene Menschenführer und Motivator, der es verstanden hat, aus den tausenden von Mitarbeitern, die es nach dem Krieg aus allen Himmelsrichtungen und gesellschaftlichen Schichten nach Wolfsburg verschlagen hat, eine verschworene Gemeinschaft zu formen. Er rief seinem Team zu, dass „der Erfolg des Werkes allein von der gemeinsamen Leistung aller abhängt“. So wurde relativ schnell aus dem Abhängigkeitsgefühl des Arbeitnehmers ein Zusammengehörigkeitsgefühl – vom Generaldirektor bis zum Bolzendreher. Er schaffte es, den Mitarbeitern zu vermitteln, dass das Werk gefühlsmäßig der Mannschaft gehörte. Der König von Wolfsburg erhob die gemeinschaftliche Leistung und den Wert der Leistung zum obersten Prinzip der Führung.
Er zögerte aber auch nicht, die Belegschaft in „produktive“ und „unproduktive“ Mitarbeiter einzuteilen. Den „unproduktiven“ Angestelltenstab hielt er so gering wie möglich. Stellte er irgendwo Anzeichen von Bürokratie fest, forderte er die Mitarbeiter in jener Abteilung auf, sich von den Sesseln zu erheben und den Gang runter zu den Kollegen zu laufen, um mit ihnen direkt zu sprechen, anstatt ihnen Memos per Hauspost zu schicken.
Seine Tür stand immer offen
Nordhoff tauchte überall in dem Riesenbetrieb auf, sprach mit den Arbeitern, kontrollierte ihre Arbeitsabläufe, stellte fest, wie Handgriffe zu sparen oder nervenaufreibender Lärm zu dämpfen war. Stets stand die Tür zu seinem Büro offen, so dass zumindest jeder das Gefühl hatte, beim Boss vorsprechen zu können, wenn es Probleme gab. Die Methode, nach der er vorging, lässt sich auch als eine Art wirtschaftlicher Hattrick darstellen:
• fortlaufende Kostensenkungen,
• höhere Qualität
• und zugleich ständige Lohnerhöhungen.
Nordhoff steigerte das Einkommen seiner Mitarbeiter schneller, als die Gewerkschaft es fordern konnte. Doch trotz der Erfolge begann ein Umstand am Wolfsburger Glück zu nagen, der die verwöhnten Verkaufsexperten umtrieb: Die Ein-Modell-Politik. Die VW-Händler drängten den großen Zampano, ein zweites und drittes Modell zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dabei ging es nicht allein um die Frage, ob die Schildkrötenform des Bestsellers langfristig die Bequemlichkeit im Innenraum beschränkt, sondern auch darum, ob es einen oder mehrere stärkere Motoren zu Auswahl geben sollte.
Nordhoff suchte Alternativen zum Käfer – halbherzig
Nordhoff wies sein Entwicklerteam zwar an, mehrere Alternativen auf Räder zu stellen. Auch solche, die optisch keine Verwandtschaft zum Käfer hatten. Doch am Ende dieses Prozesses wischte er alle Pläne mit der Aussage an seine Kritiker vom Tisch: „Wenn Sie den Wagen 50 Zentimeter länger machen, heißt das 100 Kilo mehr Gewicht. Das aber bedeutet einen veränderten Brennstoffverbrauch. Vor allem aber brauchen Sie einen größeren Motor. Und damit kommen Sie in eine höhere Preisklasse. Solange man ein Modell so gut absetzen kann wie unseres, ist es klüger und wirtschaftlicher, dieses Modell weiter zu entwickeln.“
In einem Interview mit dem „Spiegel“ im Herbst 1959 wurde er sogar unfreundlich. Die Reporter fragten, warum er an dem inzwischen 25 Jahre alten Entwurf des Wagens festhalten wolle. Er antwortete schroff: „Glauben Sie, ich schliefe?“ Und er legte nach: „Weil die Nachfrage nach diesem Wagen so stark ist, weil keine einzige europäische Automobilfabrik auch nur im entferntesten auf drei Millionen zufriedener Besitzer eines Typs hinweisen kann … Das ist alles, was ich zu diesem Thema noch zu sagen habe.“
Die Modellpolitik war in Stein gemeißelt
Die Wolfsburger verzichteten angesichts dieser Marschroute zwar zunächst auf einen echten Nachfolger, staffierten dafür den Käfer kontinuierlich aber besser aus, was noch einige Jahre Millionenstückzahlen bescherte. Die Modellpolitik Nordhoffs schien wie in Stein gemeißelt auf ewig richtig zu sein, obwohl der noch unangefochtene Macher 1961 eine zusätzliche Modellreihe auf Kiel gelegt hatte, die 1500/1600er-Baureihe mit vier Türen und Fließheck. Sie lief immerhin 12 Jahre, erreichte aber mit 2,5 Millionen Einheiten nie das Käferniveau. Im Juli 1973 war Ende.
In der Zeit stellten Opel und Ford dem VW-Hauptumsatzbringer Konkurrenten entgegen, die nur wenig teurer waren, jedoch mehr Nutzraum und spürbar bessere Fahrleistungen boten. Das führte 1963 dazu, dass 57.000 weniger Käfer verkauft wurden. Doch weil insgesamt in dem Jahr mit 306.468 Stück davon immer noch doppelt soviel Autos verkauft wurden wie von irgendeinem Konkurrenzmodell, fühlte man sich in Wolfsburg noch krisenfest. 1967 kam es schließlich ganz schlimm. „Bild“ sprach in großen Lettern davon: „VW hat geschlafen“. Und der damalige Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß wetterte: „Zwei glorreiche Buchstaben vorn am Wagen können fehlenden Komfort nicht ersetzen.“
Erdrutsch bei den Bestellungen
Nordhoff bekam die Quittung für seine starrsinnige Modellpolitik präsentiert. Die inzwischen ernstzunehmende Konkurrenz, steigende Benzinpreise und auch ein Prämienaufschlag bei der Haftpflichtversicherung um bis zu 12,5 Prozent sorgten 1967 für einen stark rückläufigen Automarkt. Diese Einschläge ins Kontor konnte Nordhoff nicht mehr autokratisch wegwischen. Sie drohten sogar so heftig zu werden, dass er einen Rückgang von bis zu 30 Prozent voraussagte. Und weil es schließlich tatsächlich zum Erdrutsch bei den Bestellungen kam, was übers Jahr ein Verkaufsminus von 120.000 Stück bedeutete, ordnete Nordhoff 42 Tage Kurzarbeit an.
Seine Fließbandarbeiter, die in Boomjahren 1000 Mark netto in der Lohntüte nach Hause brachten, mussten nun mit 700 Mark klarkommen. In der VW-Stadt, in der jahrelang am 8., am 18. und am 28. jeden Monats die Preise wegen der VW-Zahltage erhöht wurden, kursierte bald ein bitterer Witz: „Was ist der Unterschied zwischen einem Volkswagen und einem Tennisschuh? Antwort: Keiner. Beide haben keinen Absatz.“ Dennoch: In Nordhoffs mehr als 20 Jahre währender Ära liefen 14 Millionen Stück des buckligen Automobils in aller Welt von den Produktionsbändern. Der Wagen entwickelte sich vom zunächst belächelten Krabbeltier zum Verkaufsgiganten. Später kamen noch etwas mehr als sechs Millionen Exemplare hinzu, bis schließlich am 30. Juli 2003 der Letzte dieser Dinos aus dem Werk in Mexiko rollte.
Den Wandel erlebte er nicht mehr
Der von seinem Kräfte raubenden Job gesundheitlich angeschlagene Macher hatte inzwischen zwar die Zeichen der Zeit erkannt und er hat nach der 1500/1600er-Baureihe weitere Modelle entwickeln lassen. Doch den Wandel erlebte er nicht mehr.
Zwei Wochen nach seinem Tod am 12. April 1968 kam es in der Zentrale zu einer vertraulichen Präsentation eines neuen Modells für VW-Importeure und Großhändler. Gezeigt wurde der Typ 411. Er war als Nordhoffs Vermächtnis gedacht. Wie schon die noch produzierte Schwester-Baureihe 1500/1600 besaß auch der 411 vier Türen, einen luftgekühlten Boxermotor im Heck und einen großen Kofferraum. Der Wagen sah zwar etwas unförmig aus, sein 1,7-Liter-Motor sorgte mit 68 PS aber immerhin für eine ordentliche Beschleunigung und 145 km/h Spitze. Man könnte also meinen: alles Zutaten für ein Erfolgsmodell. Doch die Masse der VW-Käufer hat ihn nicht gemocht. Nach sechs Jahren und nur 367.728 Exemplaren war 1974 Schluss.
Volkswagen war ein schwankener Riese
In der Phase schwankte der Wolfsburger Riese. Auch die deutsche Volkswirtschaft geriet dadurch etwas außer Tritt. Kritiker formulierten griffig: Wenn VW erkältet ist, bekommt Deutschland Husten. Doch der Patient erwies sich am Ende als stabil. Nicht zuletzt, weil wirksame Arzneimittel dagegen in der Hausapotheke bereitstanden: Der VW Passat, der ab 1973 weltweit die Mittelklasse aufmischte, und vor allem der VW Golf, der ab 1974 die Kompaktklasse etablierte und seither als Bestseller den ganzen Konzern in der Erfolgsspur hält.